Black MIDI

Lasst mich euch etwas über MIDI erzählen.

MIDI ist ein Audioformat, das in manchen Bereichen als ausgestorben gilt. Früher fand man sie öfter in Computerspielen. Dort wurden sie verwendet, um die Hintergrundmusik zu spielen. Ja, ich sage absichtlich „spielen“ und nicht „speichern“, denn eine MIDI ist etwas besonderes. So kann man eine MIDI nur über Umwege in z.B. eine MP3 oder ein WAV umformen, jedoch ist es völlig unmöglich, ein WAV in eine MIDI umzuformen. Um zu verstehen, warum das so ist und warum das wichtig ist, müssen wir uns damit befassen, wie eine MIDI funktioniert.

Ein MIDI File enthält keine direkten Informationen, wie ein Lied klingen soll, sondern es enthält Noten und Instruktionen, welches Instrument diese Noten abspielen soll. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn die eigentliche Ausgabe erfolgt über das MIDI Modul des Computers – die MIDI sagt dem Modul nur, wie es sich verhalten soll. Wer eine MIDI abspielt, bekommt möglicherweise einen individuellen Ton. Auch mit identischen Lautsprechern kann sich die Ausgabe auf zwei Computern leicht unterscheiden, weil auf dem Mainboard andere Instrumente gespeichert sind. Der Unterscheid ist nicht extrem aber es kann einfach eine etwas andere Tonfarbe haben oder sauberer klingen.

Was ich ganz witzig finde: Wenn man eine MIDI auf dem PC abspielt und dann den Player abrupt schließt, dann ist die Musik nicht sofort vorbei, sondern die letzte Note wird noch gespielt. Man hat in diesem Fall ein gewisses Fade Out, welches man nicht gehört hätte, wenn man den Player nicht geschlossen und das Lied hätte weiterspielen können. Es klingt fast so, als hätte man das Lied überrascht und es würde zu spät reagieren, die nächste Note noch spielen und erst dann schweigen. Es hat was menschliches.

Wer eine MIDI in ein für alle Geräte verträgliches Format umformen will, um es z.B. unterwegs auf dem Handy hören zu können, muss die Datei abspielen und den ausgegeben Sound mit einem Rekorder aufnehmen. Das ist die einzige Chance, denn eine direkte Konvertierung ist nicht möglich. Webseiten, die diesen Service anbieten, tun nichts anderes – sie spielen die hochgeladene Datei ab und nehmen das Resultat auf. Deshalb dauert die Konvertierung einer MIDI in ein anderes Format immer genau so lange, wie das Lied lang ist. Es kann nicht schneller als in Echtzeit laufen. Wer schon einmal Musik konvertiert hat, weiß, dass das eine lange Zeit ist. Zum Vergleich: Wenn ich zwei Stunden aufgenommen habe und meinen Sound konvertiere, dann dauert das höchstens eine Minute. Zwei Stunden MIDI zu konvertieren würde exakt zwei Stunden dauern.

Jetzt zeigt sich auch, warum man unmöglich in ein MIDI File konvertieren kann. Es gibt nicht genug Instrumente und kein Programm der Welt kann ein Mainstream Lied so decodieren, dass es daraus alle Instrumente und jede letzte Note ableiten kann. Zudem würde das Endergebnis nicht gut klingen, denn MIDI ist auf einen gewissen Pool an Instrumenten beschränkt und gibt meist einen Ton aus, den wir als „retro“ bezeichnen. Ein Gutes Beispiel dafür sind die Lieder aus dem Ersten Lemmings von 1991.

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Als ich mich etwas ausführlicher mit MIDI beschäftigte, suchte ich auf YouTube danach. Natürlich gibt es zahlreiche Lieder, die fleißige Leute als MIDI umgeschrieben haben. Das bedeutet, sie haben buchstäblich jede Note einzeln eingetragen und jedes Instrument festgelegt, um am Ende ein Lied zu bekommen. Das ist viel aufwendiger, als es sowieso schon klingt.

Während meiner Suche stieß ich irgendwann auch auf ein Programm namens Synthesia. Dieses Programm ist eigentlich dafür gedacht, Klavierspielen zu lernen. Ähnlich wie in heutigen Musikspielen war am unteren Bildschirmrand eine Klaviertastatur zu sehen und von oben kamen dann die Noten in Form von bunten Balken herab, um zu zeigen, wann man welche Note spielen soll. Was dieses Programm aber auch enthielt, war die Möglichkeit, alle Noten automatisch spielen zu lassen, sozusagen als Demo. Das war der Grund, warum es praktisch die erste Wahl war, um MIDIs zu visualisieren.

Schnell entwickelte sich daraus der Spaß, „unmögliche“ MIDIs zu erstellen. Ich selbst stieß dabei auf ein Lied, das mir einfach sehr gut gefiel, zu dem es jedoch keine Videos in vernünftiger Qualität gab. Zu dieser Zeit hatte ich schon meinen ersten YouTube-Kanal, doch wusste noch nicht, was ich damit anfangen will. Ich beschloss also, nach der MIDI zu diesem Lied zu suchen, Snythesia zu installieren und es als Video aufzunehmen. Dabei stieß ich auf mehrere Probleme.

Der zugrunde liegende Aufbau einer MIDI konnte einen PC an seine Grenzen bringen. Dieses sehr aufwendige Lied hatte extrem viele Noten und auf dem Höhepunkt kam mein PC einfach nicht mehr hinterher und der Ton fiel aus und fing an zu stocken. Das war genau das, was ich auch in anderen Videos sah, meist gepaart mit fürchterlicher optischer Qualität. Aber ich sah das Potenzial und blieb dran. Ich habe etliche Konvertierer online ausprobiert, doch jeder hatte irgendwie Probleme mit der gleichen Stelle und konnte das Lied nicht sauber ausgeben. Schließlich fragte ich in meinem damaligen Stammforum und dort wurde mir geholfen. Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat, aber er lieferte mir eine saubere MP3 von diesem Lied. Jetzt ging es nur noch ans optische. Und dort musste ich die erste richtige Investition für ein Video machen. Ich musste für über 30 € Fraps kaufen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war dies mein teuerstes Video und es sollte noch lange so bleiben. Ich musste noch nie Geld für ein Video ausgeben aber da die Testversion von Fraps nur 30 Sekunden aufnimmt und das Lied über drei Minuten lang war, blieb mir keine andere Wahl. Ich nahm also das Video auf, synchronisierte (wahrscheinlich im Windows Movie Maker) das Bild mit dem Ton und veröffentlichte es auf YouTube. Getreu dem Gedanken, man bekäme mit englischen Videos mehr Views, gab ich dem Video einen englischen Titel. Und es explodierte förmlich. Ich bekam innerhalb weniger Tage zehntausende Aufrufe und heute, nach über sechs Jahren, kratzt es an der Million. Es heißt „Synthesia goes crazy“ und hier ist es:

Ich war so verflucht stolz darauf und bis heute ist es das erfolgreichste Video, das ich jemals veröffentlicht habe. Es ist wirklich schade um meinen alten Kanal, den ich verlassen habe, weil ich einen Strike bekam und für einige Zeit keine Videos hochladen durfte, die länger als 15 Minuten sind. Als dies passierte, hatte ich schon mit meinen ersten Gameplay-Videos angefangen und ich wollte das nicht hinnehmen. Es ist schade um den Kanal mit den ganzen Views, doch mein heutiger Kanal hat inzwischen bedeutend mehr Abonnenten. (Danke übrigens!)

Wer auf YouTube nach „Synthesia goes crazy“ sucht, wird bemerken, dass das oben eingebettete Video von mir der erste Treffer ist. Gleich darunter kommt ein zweites Video von mir, welches ein paar Monate älter ist aber genau auf der gleichen Schiene fährt. Es war nie so erfolgreich, übersteigt aber dennoch jedes meiner heutigen Videos und enthält auch eine durchaus nette Melodie. Soweit ich das aus den Kommentaren herausgelesen habe, handelt es sich hierbei wohl um einen Remix mehrerer Lieder. Ich hatte keine Ahnung – ich suchte nur nach verrückten MIDIs und machte daraus ein Video.

Dieses Video hat von Anfang an einen anderen Klang, weil es mein Computer selber ausgegeben hat. Das erkennt man auch an der kleinen Störung beim Höhepunkt. Alles in allem ist der Ton einfach nicht so sauber. Trotzdem ist es gut geworden.

Zu einem Zeitpunkt musste man auf YouTube sogar nur nach „Synthesia“ suchen und mein Video war der erste Treffer. Ich war buchstäblich an der Spitze der Nahrungskette. Was ich heute sehr witzig finde, ist die Tatsache, dass es viele andere Videos gibt, die so ähnlich heißen wie mein altes. Manchmal wird Synthesia „crazy“, manchmal „insane“ und manchmal haben sie meinen Titel einfach komplett geklaut. Das sieht man wunderbar daran, dass keines dieser Videos ebenfalls sechs Jahre alt ist – sie sind alle jünger. Was diese Kanäle aber nicht verstehen: Ich bekam nicht wegen dem Titel so viele Views, sondern wegen dem Lied. Natürlich haben sie auch viele Views bekommen, weil die Zuschauer evtl. nach meinem Video suchten aber ihres fanden. So läuft das heute teilweise immer noch.

Jedenfalls waren diese Videos viel Arbeit. Ich wandte mich aber irgendwann davon ab, nachdem ich die alten Lieder von Lemmings im Installationsordner fand, einen laufenden Lemming im Video einfügte und daraus Videos machte. Die sind nicht spektakulär aber klingen einfach nett, wie ich finde. Vielleicht erkennt ja jemand eines der Lieder.

All das liegt viele Jahre in der Vergangenheit. Heute sind die verrückten MIDIs noch viel verrückter. Das erste Video oben ist nichts im Vergleich dazu. Und ich kann mir nicht erklären, wie das möglich ist.

Ich habe erklärt, welche Probleme es mit MIDIs gibt und warum diese Probleme auftauchen. Jetzt stellt euch mal eine MIDI vor, die noch viel extremer ist und bei der buchstäblich der ganze Bildschirm bunt ist vor Noten. Diese MIDIs nennt man Black MIDI.

Warum nennt man sie so? Eigentlich ist das ganz einfach. Eine MIDI enthält Noten und wir alle haben schon einmal ein Notenblatt gesehen. Jetzt stellt euch doch nur mal vor, jemand würde so ein extremes Lied auf einem normalen Notenblatt eintragen. Natürlich ist das albern und diese Lieder sind ja auch gar nicht dafür gemacht, von einem Menschen gespielt zu werden aber wenn man es täte, würde es so aussehen:

Dass das Quatsch ist, brauche ich wohl niemandem zu sagen, doch das ist es, was eine Black MIDI ausmacht. Wenn man nun so ein Lied in Synthesia lädt, sieht es optimalerweise einfach gut aus. Wenn viele Noten verschiedenen Instrumenten zugeordnet sind (das können trotzdem alles Klaviere sein) dann sieht man einen Regenbogen und ein wunderschönes Farbspiel. Darauf kommt es bei Black MIDI an. Viele der Noten sind stumm und existieren nur, um das Geschehen optisch besser zu untermalen. Die eigentliche Melodie ist viel simpler und könnte bestimmt auch gespielt werden. Es ist nicht einfach nur Krach, sondern klingt meist sehr angenehm.

Eine Black MIDI hat gerne mal ein paar Millionen Noten und geht wirklich extrem kreativ vor. Man kann Synthesia jedes MIDI Instrument zuteilen, das existiert aber es mach natürlich am meisten Sinn, ein Klavier zu wählen. Eine Black MIDI hat scheinbar extrem lange Takte, damit die Noten schneller durch das Bild scrollen können. Dadurch lassen sich schönere Bilder malen und es sieht allgemein beeindruckender aus. Außerdem können sehr tiefe kurze Noten dadurch als eine Art Schlaginstrument wahrgenommen werden. Irgendwann hört man nur noch den Bass und denkt gar nicht daran, dass es eben kein Schlagzeug ist, sondern ein Klavier. (Ja, ich weiß, dass ein Klavier hinsichtlich der Erregungsart ein Schlaginstrument ist.)

Man darf auch nicht vergessen, welche tierische Arbeit in die Komposition eines solchen Stückes einfließt, denn sowohl Optik als auch Akustik müssen berücksichtigt werden und in einen harmonischen Einklang gebracht werden. All das fließt in eine Black MIDI ein und es ist akustisch und optisch ein tolles Erlebnis. Ich präsentiere euch hiermit das Lied „Pi“ mit 3,14 Millionen Noten.

Falls ihr Black MIDIs gerne hört und andere empfehlen wollt – schreibt einfach einen Kommentar.

Und als kleinen Bonus hier eine Black MIDI zur Nyan Cat, die die stummen Noten auf die Spitze treibt.

Und damit es vollständig ist, bleibt zu erwähnen, dass beide Black MIDIs hier nicht die originalen Videos sind aber die mit der konsistent besten Qualität aus Bild und Ton. Die Originalen haben nicht so guten Ton, benutzten jedoch scheinbar ein anderes Programm und zeigen die Noten kleiner, was dem eigentlichen Muster erlaubt, mehr hervorzustechen. Sie sind optisch teilweise besser, weil sie zeigen, welches Muster mit den Noten gezeichnet wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=88qkmRozPQ4

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