Warum ich befürchte, vom neuen Album meiner Lieblings-Band enttäuscht zu werden

Vor vielen Jahren (oh weh, das klingt so, als wäre ich 90 und wolle über den Krieg reden) bekam ich von einem damaligen Klassenkameraden einen Teil seiner Musiksammlung zugesteckt. Jeder wusste, dass er harten Rock, Metal und noch anderes Schwermetall konsumierte. So gut wie alles, was ich auf diesem Datenträger fand, war nicht nach meinem Geschmack, denn das härteste, was ich zu diesem Zeitpunkt hörte, war Billy Talent. Doch ich fand ein Lied, das eben nicht nur aus Grunts und einer unharmonischen Melodie bestand, die man als solche eigentlich gar nicht bezeichnen kann. Erst als ich dieses Lied mehrere Male gehört hatte und dann merkte, dass ich die Melodie mitsummte, wurde mir bewusst, dass ich es scheinbar lieber mag, als ich selber dachte. Es war „Inside The Fire“ von Disturbed.

Ab diesem Tag begann ich damit, die Lieder und den allgemeinen Stil von Disturbed zu lieben. Die Alben „Indestructible“, „Asylum“ und „Ten Thousand Fists“ begleiteten mich über Jahre hinweg auf meinem späteren Arbeitsweg. Neue Releases von Billy Talent und Halestorm, die ich zwischenzeitlich für mich entdeckte, konnten mich nicht dauerhaft vom für mich absolut perfekten Disturbed-Sound wegholen. Es war dieser krachende Sound, der die Tür eintrat und mit eiserner Faust auf den Tisch hämmerte, jedoch trotzdem eine einprägsame Melodie mit sich brachte und sauberen Gesang ohne Geschrei. Es war hart, druckvoll und voller Durchsetzungsvermögen auf eine Art und Weise, die perfekt zu mir sprach. Das ist heute noch so. Diese Alben höre ich immer noch gerne.

Das letzte Studio-Album, Immortalized, brachte fantastische Singles mit sich und das Album überzeugte mich fast zu 100%. Damit war alles perfekt, denn ich wusste, dass Disturbed auch in ihren neuen Alben den Sound, den ich so toll finde, immer noch beibehält. Doch ich war eben nicht zu 100% überzeugt.

Vor wenigen Wochen dann wurde das neue Album mit der ersten Single angekündigt und ich war sofort wieder geflasht. Warum ich jetzt, noch bevor das „Evolution“ getaufte Album erschienen ist, Zweifel und Befürchtungen ob der Qualität des neuen Releases entwickelt habe, hat mehrere Gründe.

Grund 1: Der Erfolg von Sound of Silence

Ich sagte zuvor, dass mich das Album Immortalized nicht zu 100% überzeugte. Es war tatsächlich das erste Album dieser Band, das ein Lied enthielt, das ich so schlecht fand und das so wenig in ihren eigentlichen Stil passte, dass ich es aus meiner Playlist verbannen musste.

Die ersten Singles waren toll. Schon einmal von „The Vengeful One“ gehört? „Open Your Eyes“? „What Are You Waiting For“? Nein? Schon mal von „Sound of Silence“ gehört? Würde mich nicht überraschen.

Dieses Lied erstürmte die Charts. Radiosender, die noch nie den Namen der Band ausgesprochen haben, spielten plötzlich dieses Lied. Es lief rauf und runter und ich konnte es nicht ertragen. Anstatt harte Drums, einen geilen Gitarrenriff und harten Gesang zu kombinieren, bekamen wir extrem soften Gesang in einer langsamen Ballade mit orchestralem Hintergrund. Es ist so weit weg von dem, was man eigentlich von Disturbed erwarten würde, dass es nicht noch weiter weg geht. Und doch habe ich noch nie jemanden über dieses Lied scheißen hören. Und ich weiß nicht warum.

Fans von Disturbed kennen das Lied „Overburdened“. Ein langsames Lied, das sich über mehr als fünf Minuten zieht. Aber es enthält den Disturbed-Sound. Es hat seine harten Instrumente. Der Gesang ist rau, wie man es erwarten würde. Keines ihrer eigentlichen Stilelemente wurde gegen irgendetwas ausgetauscht. Es war nur langsam. Ein tolles Lied, denn es entspricht dem, was man erwarten würde, obwohl es bedeutend langsamer ist. Es ist nicht einschläfernd, sondern aufregend. Sound of Silence hingegen enthält keine dieser Eigenschaften.

Weil Sound of Silence so soft und unaufdringlich ist, konnte es Mainstream-Erfolg einheimsen. Wie viele Mainstream-Zuhörer haben wohl dieses Lied im Radio gehört, kannten Disturbed nicht, sind in den nächsten Laden und waren tierisch enttäuscht vom Rest des Albums, weil es überhaupt nicht so war wie dieses eine Lied, das sie mochten? Ich als Disturbed-Fan war nur von einem Lied auf dem Album enttäuscht, doch andere waren vielleicht von allem außer diesem einen Lied enttäuscht. Klingt nicht wie ein guter Tausch.

Was ich sagen will: Meiner Ansicht nach hat mit diesem Lied keiner gewonnen. Schlimmer noch: Disturbed hat durch den Mainstream-Erfolg ein Feedback bekommen, dass sie glauben lässt, diese Art von Lied ist das, was die Fans wollen. Und auch wenn das tatsächlich der Fall sein sollte (und Zahlen lügen nicht – es ist das meistgespielte Lied von Disturbed auf Spotify) dann werden sie in ihrem kommenden Album vielleicht mehr Lieder dieser Art machen und das wäre für mich, einen Fan ihres ursprünglichen Stils, das schlimmste, was passieren könnte und meiner Meinung nach offiziell der Tod dieser Band.

Grund 2: Ein Review des Albums

Erst vor wenigen Tagen ist mir ein sehr kurzes aber extrem überschwängliches Vorab-Review eines Musik-Journalisten in die Hände gefallen. Dieser sprach davon, wie einzigartig und großartig das neue Album ist und vergab scheinbar mit Freudentränen in den Augen 10/10 Punkten für dieses Werk.

Nun kann ich natürlich von einem Review mit 200 Worten nicht wirklich ableiten, was dieser Journalist sonst gerne hört, welchen Stil das Album hat und wie es sich im Bezug auf die anderen Alben verhält. Ob es etwas für neue Fans ist, ob es Mainstream ist oder ob es sich an die alten Fans richtet. Ein weiteres großes Problem habe ich mit diesem Review und das ist die Art und Weise, wie der Autor auf dem Namen des Albums herumreitet. Er walzt ihn platt und erwähnt ihn immer wieder. Das macht mir Angst.

Grund 3: Der Name des Albums

Warum ist der Name des Albums ein Problem? Das Album heißt „Evolution“. Das muss ich nicht mal übersetzen. Wenn sich eine Band entwickelt, dann muss das nicht immer etwas schlechtes sein. Andere Bands, die ich verfolge, haben sich entwickelt, die einzelnen Musiker sind besser geworden, haben neue Tricks drauf und die Stimme bekommt einen gewissen Feinschliff. Aber bei Disturbed von einer Evolution zu sprechen, bereitet mir Sorgen wegen ihrem Mainstream-Erfolg mit einem Lied, das man durchaus als eine Evolution bezeichnen könnte.

Mit Sound of Silence haben sie definitiv eine Evolution begonnen und wenn sich diese Evolution im neuen Album fortsetzt und der Journalist ein Mainstream-Freund ist, dann gute Nacht.

Grund 4: Die zweite und dritte Single-Auskopplung

Die erste Single vom neuen Album ist absolut fantastisch. „Are You Ready?“ heißt sie und sie bringt genau den Sound und das Feeling mit, das ich von Disturbed erwarte. Ich war begeistert, als ich es zum ersten Mal hörte. Dann kam das zweite Lied, „A Reason To Fight“. Und schon hatten wir wieder eine Ballade. Ich habe dieses Lied bis jetzt kein zweites Mal gehört aber es ist nicht so schlecht wie „SoS“ (Ich habe es satt, den Titel ständig schreiben zu müssen). Es ist aber auch bei weitem nicht so gut wie Overburdened. Es hat vernünftige Disturbed-Instrumente aber besteht einfach aus einer Mainstream-Melodie.

Dieser Umstand ist tierisch schwer zu beschreiben aber wenn ich, ohne das Lied zu kennen, automatisch weiß, was als nächstes passieren wird, dann bin ich gelangweilt. Ich möchte ein Lied entdecken, erkunden, erforschen. Ich will beim ersten Mal überrascht werden, hin- und hergerissen und es gleich noch mal hören wollen, um es richtig zu verstehen und korrekt wahrzunehmen. Wie ein guter Film. Ich will nicht nur berieselt werden. A Reason To Fight berieselt mich aber. Man muss sehen, wie es in das Album eingebaut wird und ob es gut passt. Ich hoffe, ich finde es im Kontext besser.

Aber noch mal ganz deutlich: Das ist einfach nicht der Stil, den ich von Disturbed erwarte. Es ist ja auch keineswegs so, dass ich generell langsame Lieder nicht mag. Oder dass ich Mainstream nicht mag. Das stimmt nicht! Aber wenn ich ganz bewusst eine bestimmte Band höre, habe ich eine bestimmte Laune und Stimmung und dann möchte ich etwas ganz spezielles hören. Ich will nicht, dass alles in einem Mainstream-Wischi-Waschi verschmilzt und alles gleich ist. Disturbed ist anders und das ist gut so!

Die dritte Single, „The Best Ones Lie“, ist wieder erheblich besser als die zweite aber sie kommt lange nicht an die erste ran. Ich muss mich da noch mehr reinhören aber der dreckige Sound ist erst mal da. Zum Refrain hin driftet es wieder ein bisschen ins Vorhersehbare ab, bis es für ein paar Sekunden extrem soften Gesang gibt und gar keine Instrumente. Daran muss ich mich gewöhnen, weil das ein unübliches Stilelement ist. Ich hoffe, dabei bleibt es. Ein Stilelement. Kein kompletter Stil. Und kein Abwenden von dem, was sie seit vielen Alben stets durchgezogen haben.

Es bleibt für mich schlussendlich einfach zu hoffen, dass mein paranoides Hirn nur Gründe sucht, um mir die Vorfreude kaputt zu machen. Ich hoffe, ich liebe das Album. Ich hoffe, ich werde es jahrelang hören. Ich hoffe, Disturbed stirbt nicht.

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