Ich war schon immer etwas merkwürdig. Ja, wirklich, ist einfach so. Das ist keine neue Entwicklung, sondern reicht so weit, wie ich mich erinnern kann, zurück. Ich weiß auch noch ganz genau, wie ich als Kind von meinem großen Bruder irgendwann mal eine Geburtstagskarte bekommen habe, in der er schrieb, ich hätte genau so krude Gedanken wie er. Großes Kompliment für mich – anders, verdreht und trotzdem auf eine Art und Weise cool zu sein war und ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Wie auch immer – noch eine Geschichte aus meiner Kindheit.
Es fällt mir immer schwer, einzuschätzen, wie alt ich während einer spezifischen Erinnerung war aber sagen wir mal, ich war so fünf oder sechs. Ich habe meine älteren Geschwister nie als etwas anderes als Erwachsene angesehen, auch, wenn sie es zu gewissen Punkten meiner Kindheit nicht waren. Will heißen: Wir liegen näher beeinander, als ich zu einem großen Teil meines Lebens wahrhaben wollte. Mein Punkt ist folgender: Ich als Kind war der Meinung, sie nicht wie Kinder behandeln zu müssen, weil sie älter sind als ich und dementsprechend erwachsen. Alles klar? Das ist wichtig.
Ich jedenfalls – Knirps wie ich war – malte meiner Schwester zu ihrem Geburtstag ein Bild. Das machen Kinder halt so. Hab ich zumindest gemacht und später auch bei anderen Kindern beobachtet. Ich halte das einfach mal für normal. Was mir aber schon damals missfiel, war der Gedanke, immer das gleiche zu malen. Ein Bild zum Geburtstag, gemalt vom kleinen Bruder, enthält meistens einfach irgendetwas schönes. Ein absurd schlechtes Portrait, eine Geburtstagstorte oder halt irgendeine austauschbare Naturszene bei Sonnenschein mit Regenbogen und so’m Quark. Ich in meinem kruden Kopf wollte diese Langeweile etwas auffrischen, indem ich etwas anderes darstellte. Meiner Meinung nach ging es nicht darum, eine Abbildung von etwas Schönem zu haben, was sich jedes Jahr immer mehr ähnelt, sondern darum, ein artistisches Kunstwerk darzustellen. Was zu sehen ist, ist nicht so wichtig. Ich gab mir also unglaublich viel Mühe, ein tosendes Gewitter für meine Schwester zu ihrem Geburtstag zu malen.
Der Teil meines kindlichen Selbst, der erwachsen sein wollte, kreierte Kunst und war der Meinung, das würde zu mehr Freude führen, als ein Bild einer schönen Szenerie, bei der sich aber nicht so viel Mühe gegeben wurde. Es war mir wichtig, wie viel Mühe hineingesteckt wurde und nicht, was zu sehen war. Diese Flausen trieb mir meine Mutter aus, die mich nach Fertigstellung der wirklich großartigen Gewitterszene (die Regentropfen wurden durch die Druckwelle des einschlagenden Blitzes umhergewirbelt!) zwar für mein artistisches Können lobte, mich aber dennoch dazu zwang, ein zweites Bild bei Sonnenschein für meine Schwester anzufertigen und ihr dieses dann zu schenken.
Ich bin kein Rebell, also tat ich, was Mutti verlangte. Alles gut. Ich war mit dem sonnigen Bild trotzdem nie so zufrieden wie mit dem Gewitterbild und konnte gar nicht verstehen, warum man damit nicht auch glücklich gewesen wäre. Immerhin hatte ich mir damit viel mehr Mühe gegeben.